Warum in die Ferne schweifen …
8. Juni
Urlaub – ob überhaupt und wenn ja, wohin wird das große Thema in den Medien. Ich wäre schon froh, wenn ich es in den nur 200 Meter entfernten Wald schaffen würde. Nun lebe ich seit Mitte März in meiner begrenzten kleinen Welt, vor gut fünf Wochen durch meinen Sturz nochmals massiv eingeschränkt. Jede Stufe, jeder Bordstein, jede Tür sind eine echte Herausforderung – andere Geh-Behinderte, Rollstuhlfahrer*innen und Eltern mit Kinderwagen kennen das. Am schwierigsten zu bewältigen aber sind für mich die Desinfizierungsstationen bei Ärzten und in Apotheken. Schon mehrfach bin ich fast zu Fall gekommen, wenn ich versuche, mir die Hände beim Betreten zu reinigen: Sicher stehen kann ich nicht mit dem Walker, das Bein darf ich nicht belasten, die Unterarmstützen muss ich abstellen, aber es fängt schon damit an, dass es gar nichts zum Abstellen gibt in den Eingangsbereichen der medizinischen Einrichtungen.
Viel Zeit zum Lesen habe ich nun, und so lese ich auch das wunderbare Buch von Mariana Leky, die in Hildesheim Kulturjournalismus studierte, noch einmal: „Was man von hier aus sehen kann“. Deshalb auch die Poesiealbum-Überschrift, denn ein Poesiealbum kommt darin ebenso vor wie ein riesiger Hund, besonders liebenswerte Menschen und: ein Okapi. Und grade, falls man/frau nicht weiß, was ein Okapi ist: Unbedingt lesen! Es lohnt sich, garantiert!
Ich kann nicht sonderlich viel sehen, von hier aus, derzeit, aber bekomme glücklicherweise nette Fotos und aufmunternde Worte geschickt. So auch von den beiden alten Freunden, mit denen zusammen ich Anfang der 2000er im Südsudan bombardiert wurde. Der eine ist auf Reisen durch Deutschland und lernt wieder, das Leben zu lieben. Der andere liebt u.a. seinen neuen Welpen. Wieder so eine Rasse, von der ich noch nie gehört habe, aber das will ja nichts heißen. Natürlich süß, der Kleine – auf den geschickten Fotos trägt er einen gelben Mantel, jetzt, im Juni. Auf erstaunte Nachfrage erfahre ich, dass diese Rasse sehr nässe-und kälteempfindlich ist. Da kann ich nicht mitreden – Kuyo als echter Golden Retriever liebt Wasser, nach dem Motto „Je nass, desto gut – und Eis im Fell ist doppelt lecker!“.
Allerdings, fällt mir ein, unser erster Hund Akim war auch nicht sonderlich Wasser-affin. Stellte er an der Haustür fest, dass es draußen regnete, drehte er gern wieder um und ließ sich nur sehr zögerlich überreden, mit hinaus zu kommen für den notwendigen Abendspaziergang. Wir hatten das Gefühl, am Ende ging er nur uns zu Gefallen mit, immer wieder verwundert über die merkwürdigen Vorlieben von Menschen.
Keine Ausrede für den falschen Weg.
18. Juni
Im Radio hörte ich, dass der brasilianische Präsident die Zahl der Corona Infizierten und Toten als irrelevant bezeichnete und deshalb nicht mehr veröffentlichen wollte. Präsident Trump argumentiert, es gebe nur so viele Infizierte, weil so viel getestet werde, deshalb sei er dafür, die Zahl der Tests einzuschränken.
Am 8.Juni jährte sich zum ersten Mal die friedliche Revolution im Sudan, mit der einem stark von menschenverachtendem Rassismus geprägten System ein Ende bereitet wurde.
Seit am 9. Juni in Bristol Demonstrant*innen die Statue eines Sklavenhändlers aus dem 17. Jahrhundert vom Sockel geholt und ins Wasser geworfen hatten, folgen viele weitere Denkmalsstürze in verschiedenen Ländern. Auch bei uns gibt es jetzt Antirassismus-Demonstrationen und öffentliche Debatten, bei denen das Wort „Rassismus“ tatsächlich auch vorkommen darf. Das war bisher immer sehr schwierig. Bereits Mitte der 80er Jahre aber veröffentlichen Anita Kalpaka und Nora Räthzel ein Buch mit dem Titel „Von der Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein“, in dem sie nachweisen, auf wie vielen Ebenen von jeder und jedem von uns rassistisch gesprochen und gehandelt wird, bewusst oder unbewusst, und dazu aufrufen, sich selbst immer wieder zu überprüfen.
So eine Überprüfung kann sehr erhellend und sehr heilsam sein. Mir fällt in diesem Zusammenhang immer eine Begebenheit ein, bei der ich feststellte, wie tief längst überwunden geglaubte Vorurteile und Stereotype sitzen.
Vor vielen Jahren befand ich mich nach einem furchtbaren Rückflug von einer Konferenz in Kanada auf dem New Yorker Flughafen. Da das heftige Gewitter mit uns aus Kanada gekommen war, konnten keine Flugzeuge starten, der Wartebereich füllte sich mit Passagieren und Crewmitgliedern. Mit jedem Donner und Blitz wurde mir mulmiger beim Gedanken an den bevorstehenden Flug. Plötzlich kam eine Crew mit einer Frau an der Spitze, ganz offensichtlich der Flugkapitänin, damals noch ein eher ungewohnter Anblick.
Ich ertappte mich dabei, dass mein erster Gedanke war: Hoffentlich ist das nicht unsere! Und gleich anschließend schämte ich mich vor mir selbst – hatte ich doch schon so lange für Frauenrechte gekämpft.
Natürlich war es unsere, und natürlich flog sie die Maschine dann mindestens ebenso sicher wie jeder Mann.
28. Juni
Eine Bekannte erzählt, dass am Wochenende die Betreiber des Auenparks einen Gast des Platzes verwiesen haben, der eine Naziparole skandierte. Ich bin sehr froh, so muss es sein, immer und überall. Rassismus und Ausgrenzung dürfen in keiner Gesellschaft Platz haben.
Übrigens auch nicht gegenüber von Corona-Infizierten, wie zunehmend auch bei uns zu beobachten.
Vor-Corona: Hundelose Such-Zeit
September – Dezember 2019
Corona und Welpe im “Anmarsch”
Weihnachten 2019 – 20.März 2020
Coronatage mit Kuyo
21. März bis 26. April
Coronatage mit Kuyo im Mai
28. April bis 24. Mai
Coronatage mit Kuyo im Juni
8.Juni bis … solange es eben währt