Foto: Heiko Stumpe

Wandbilder zum Nachdenken und Fühlen

(01.09.2020 / hst)
Fresko-Malerei von Martin Krämer entsteht in Everode, an der Kulturherberge Wernershöhe und in Hildesheim

Am Anfang wird auf eine Wand Kalkputz aufgetragen. Nicht nur ein Mal, sondern in mehreren Schichten. Wenn die oberste noch nicht ganz trocken ist, wird sie schon bemalt.  Die Pigmente der Farbe werden beim Trocknen,  der sog. Carbonatisierung des Kalkes, fest mit dem Putz verbunden. Ist das Bild nicht gleich im ersten Versuch gelungen, lassen sich kaum noch Korrekturen anbringen. Diese Maltechnik erfordert Kunstfertigkeit. 

Eine Kunstfertigkeit, die nur noch wenige Menschen beherrschen. Der gebürtige Grünenpläner  Dr. Martin Krämer ist einer von ihnen, unterstützt von seinem kleinen Kollektiv Rebecca Arndt, einer „Eine-Welt-Laden-Aktivistin“ und der Ärztin Dr. Selina Khanal. 

Es ist sehr aufregend, so zu malen, haben die Teilnehmer*innen festgestellt. Mit feinem Pinsel und detailverliebt zu arbeiten, das verbietet sich fast. Zu schnell muss alles gehen. Und dann folgt noch der lange Prozess des Aushärtens. „Malen im Rhythmus der Karbonisierung“, sagt Martin Krämer dazu. „Es kann sein, dass wir nachts um vier Uhr malen müssen.“ Das Künstlerkollektiv besteht aus ihm und Rebecca Arndt, einer „Eine-Welt-Laden-Aktivistin“. Dazugestoßen ist auch noch die junge Ärztin Dr. Selina Khanal. Die gebürtige Nepalesin ergänzt das Duo. 

Krämer selbst ist auch Doktor, hat in „Landwirtschaftlicher Geschichte“ promoviert, und hat auch Kunst studiert. An der Fresko-Malerei hängt sein Herz, für ihn geht es darum, dass diese Technik weiter praktiziert wird. Wobei das technische und auch das künstlerische des Freskos nur ein Teil seiner Arbeit ist. Es geht ihm auch um gesellschaftliche Veränderungen, um ein Umdenken. Auf dem Hof Luna ist Krämer damit unter Gleichgesinnten. 

Aber damit wäre für den Künstler Krämer die Sache noch nicht rund. Weil nahe Everode ein Jakobs-Pilgerweg verläuft, die Via Scandinavica, will er, dass Menschen auch nach Everode kommen, um sich über alternative Landwirtschaft und insbesondere über eine besondere Rinderrasse informieren. 

Die Rinder heißen „Rote Angler, alte Zuchtrichtung“, und stammen aus dem Harz. Sie waren fast ausgestorben und haben dank der Zucht von Landwirt Wilhelm Bertram überlebt. Die Roten Angler dürfen rund 20 Jahre alt werden und Milch geben, sie sind keine hochgezüchteten Hochleistungskühe. Obwohl von ihnen nur wenige Exemplare existieren, ist ihre genetische Vielfalt dennoch größer als beim Holstein-Friesian-Rind. Das allerdings hat fast alle anderen Arten verdrängt, weil es auf eine hohe Milchleistung hin gezüchtet wurde. „Wir wissen aber nicht, was einmal wichtig sein wird“, sagt Krämer, „wenn es darum geht, wegen des Klimawandels robuste Rinder zu haben. Deshalb ist es wichtig, diese Art zu erhalten.“ 

Foto: Heiko Stumpe

In dem ersten großen Fresko, das das Kollektiv geschaffen hat, stehen die Roten Angler im Mittelpunkt. Im Fest-  oder Speisesaal des Vereins LandLeben, der auch als Seminarraum genutzt wird, steigt jetzt ein mächtiges Rind auf seine Hinterbeine und dominiert den Raum. In einem großen Bogen zeigt das über zwei Seiten angelegte Wandbild die Entwicklung von „Felszeichnungen“ mit Tiersilhouetten über die Entwicklung der Landwirtschaft und Viehzucht bis hin zur Gesellschaft der Gegenwart. 

Früher war in dem Gebäude eine Tabakwarenmanufaktur ansässig. Diese Zeiten sind passé. Heute geht es dort um gesundes Essen. Der Verein LandLeben kümmert sich um die Weitergabe von Wissen zum Beispiel im Bereich Permakultur und alternative Landwirtschaft. 

Mit der Nutzung traditioneller Putz- und Freskotechnik geht es dem Künstler Krämer auch um den Erhalt von denkmalgeschützten Gebäuden. Andere Techniken würden oft mehr zerstören als bewahren. „Wände haben eine Geschichte“, ist Krämer überzeugt. Früher, bevor jedermann lesen und schreiben konnte, waren Wände die Zeitungen ihrer Zeit. „Das waren Bilder, die für Bildung gesorgt haben.“ Krämer will mit seinen Motiven auch Bewusstsein schaffen. 

Auf dem Hof Luna gibt es noch weitere Projekte: Die Fassade eines ehemaligen Stalles soll komplett mit einem Fresko bemalt werden – die vier Jahreszeiten werden thematisch umgesetzt. Auch soll noch eine Fläche am Stall der Roten Angler am Ortsausgang mit einbezogen werden. Aber Krämer und sein Künstlerkollektiv wird es dann noch weiter ziehen. Als nächstes auf die Wernershöhe. An der sogenannten Kulturscheune der Kulturherberge wird ebenfalls ein großes Fresko entstehen. Wieder geplant mit „Mitmachtagen“, wie die Künstler Krämer und Arndt es nennen. Und von dort geht es auf der Pilgerroute weiter zum Hildesheimer Trillke-Gut. Auch dort ist ein Fresko geplant. 

Malerei als verbindendes Element – eine Idee, wie gemacht für das Konzept Hildesheims, Kulturhauptstadt 2025 zu werden. Deshalb wurde das Gesamt-Fresko vom Künstler auch in diesem Kontext verankert. Martin Krämer geht es nicht zuletzt darum, die Region sichtbarer und erlebbarer zu machen. 

Am Ende könnte die Fresko-Malerei für lange Zeit sichtbar bleiben. Denn die Malerei behält für lange Zeit ihre Leuchtkraft. Ganz im Gegensatz zu konventionell gestrichenen Wänden. Die Lebensdauer eines Freskos misst sich in Jahrhunderten. „Das ist ein großes Projekt. Ich habe Respekt vor der Aufgabe“, sagt Martin Krämer. 

Tipp: In der Klosterkirche „St. Hadrian und St. Dionysius“ in Lamspringe gibt es auch interessante Wand- beziehungsweise Deckenmalerei. Alfred Franz Adolf Ehrhardt war ein deutscher Fotograf und Dokumentarfilmer. Auch als Maler war der am Bauhaus von Walter Gropius ausgebildete Künstler tätig. 1926/27 fertigte er die Malereien im Stil der neuen Sachlichkeit in der Krypta der Klosterkirche Lamspringe an. In der Zeit des  Nationalsozialismus wurden die Bilder übermalt, konnten aber aufgrund der Maltechnik nicht zerstört werden. Nach dreijähriger Restaurierung können die Arbeiten seit 2010 wieder besichtigt werden.

Sponsoren: 
Verein LandLeben, Hof Luna mit seinem Umfeld, El Puente (Nordstemmen) und Kreidezeit (Lamspringe), die Hildesheimer Sparkassenstiftung und der Landschaftsverband Hildesheim sowie die Gemeinde Freden. 

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