Foto: Jan Lieske

Spendenkampagne für Céline Gereke

1.11.2020 (Jan Lieske)
Wenn Céline Gereke an der Werkbank neben Goldschmied Ralf Richter sitzt, lebt die 18-Jährige ihren Traum. Es geht um Unabhängigkeit, Selbstverwirklichung, Freude an kreativer Arbeit. Und ein bisschen normales Leben.

Ihr Leben verlief anders als normal. Es begann mit einem angeborenen offenen Rücken und einem Hydrocephalus, einem Wasserkopf. Ihr erster Lebenstag war gefüllt durch eine Zwölf-Stunden-Operation, um ihren Rücken zu verschließen und eine Extraröhre, einen „Shunt“, vom Kopf in den Bauch zu verlegen, damit überschüssige Nervenflüssigkeit abfließt. Ist der „Shunt“ verstopft, defekt oder verschoben, folgen Kopfschmerzen, Übelkeit und Angstzustände – und manchmal Lebensgefahr. 

Mit sechs Jahren überlebte Céline eine Gehirnblutung. Sie hat kaum Gefühl in Beinen und Füßen, die durch Schienen stabilisiert werden müssen. Für Dauerprobleme sorgt eine seitliche Verbiegung ihrer Wirbelsäule, eine Skoliose. Darum trägt Céline nachts ein Korsett. Die Ärzte überlegen, wie sie die weitere Verkrümmung der Wirbel aufhalten können. Sie wollen sie künstlich versteifen. Wenn das geschieht, wird Céline nicht mehr laufen und nur noch im Rollstuhl sitzen, den sie jetzt nur für längere Strecken nutzt. 

„Wir haben gelernt, mit Kompromissen zu leben, und unsere Prioritäten angepasst. Es geht uns darum, dass es Céline gut geht“, sagt Vater Lars (47). Er ist Industrieglasfertiger, derzeit in Kurzarbeit. Mutter Sibylle (45), gelernte Groß- und Außenhandelskauffrau und nun Fachfrau für Antragswesen. Sie kennt sich in allen rechtlichen Belangen von Menschen mit Behinderungen aus und korrespondiert regelmäßig mit dem Anwalt. In zwei Regalen füllen sich Ordner um Ordner mit Antragsformularen, Ablehnungs- oder Bewilligungsbescheiden und Widersprüchen. 

Lars (47) und Sibylle (45) Gereke mit ihrer Tochter Celine (18). Foto: Jan Lieske

„Dieser bürokratische Aufwand – das sprengt jeden Rahmen. Ich kann den Menschen verstehen, der sagt: Ich habe die Kraft dafür nicht, lasst mich alle in Ruhe. Die leben dann einfach so dahin, obwohl ihnen eigentlich Hilfen zustehen“, sagt Lars Gereke und schaut zu seiner Frau. „Im Grunde sitzt man jeden Tag am Rechner und beschäftigt sich mit Antragswesen“, bestätigt sie. Aber sie halten zusammen.

Céline träumt seit vier Jahren davon, Goldschmiedin zu werden. „Ich möchte eine Arbeit, die mir Spaß macht, wo ich am Ende des Tages sehen kann, was ich geschafft habe. Bei einem Bürojob macht man zum Feierabend den Computer aus, und das war’s.“ Sie erinnert sich, was die Sachbearbeiterin der Arbeitsagentur sagte: „Verliere deinen Traum nicht aus den Augen, einfacher für dich wäre aber eine Bürotätigkeit.“

Celine Gereke in der Schmuckwerkstatt des Goldschmieds Ralf Richter. Foto: Jan Lieske

 

Die Entscheidung für die Lehre in einem normalen Handwerksbetrieb fiel nicht leicht. „Wir haben uns nun bewusst für den ,normalen‘ Weg für Céline entschieden“, sagt Sibylle Gereke. „Die meisten anderen mit Beeinträchtigungen gehen halt in die Werkstätten. Von denen sieht man dann auch nichts mehr.“ 

Sie machte ein zweiwöchiges Schülerpraktikum beim Brunker Goldschmied Ralf Richter in der Oberen Dorfstraße. Dessen eigene Ausbildung begann vor 30 Jahren, seit 1994 ist er als Kunsthandwerker selbstständig. Bekannt ist Richter auch durch die Kunst- und Kulturtage, die er 1998 mitinitiierte. Er erkannte Célines Talent. 

Zu gut weiß er, nicht jeder Mensch ist geeignet für sein Handwerk. Neben Kreativität und Geschicklichkeit braucht man ein feines Gespür für Bedürfnisse und Wünsche. Richter weiß, dass es für Céline besonders schwer werden wird. „Ich möchte Céline gerne eine Ausbildung ermöglichen. So habe ich angefangen, zu allen möglichen Ämtern zu gehen, um Unterstützung zu beantragen.“ Lars Gereke sagt dazu: „Ralf hat jetzt auch schon einige graue Haare bekommen.“

Gute Zeiten sind es nicht. „Corona hat meine Goldschmiede als Selbstständiger zum Erliegen gebracht. Als Markt- und Ausstellungsverkäufer ist bei mir bis auf Weiteres kein Absatz meines Schmucks in Aussicht. Aber dennoch möchte ich nicht aufgeben. Ich nehme die Aufgabe, Céline auszubilden, mit voller Leidenschaft an.“

Für die Ausbildung muss vieles behindertengerecht umgebaut werden, und sie fordert Richters volle Konzentration und Aufmerksamkeit. Es wird ihm nicht möglich sein, wie gewohnt regelmäßige Einnahmen zu erwirtschaften. Richter kalkuliert, dass er monatlich rund 1200 Euro extra braucht, um den Ausbildungsbetrieb zu finanzieren. Das würde Werkstattkosten, Betriebshaftpflicht, Nebenkosten und Übungsmaterialien abdecken. 

Zudem wird Richter nicht nur Ausbilder sein, sondern Célines persönlicher Assistent in allen Fragen. Die Arbeitsagentur wird Célines Ausbildungsvergütung, Lohnnebenkosten, Werkstattumbau und Fahrtkosten übernehmen. 

Im August 2021 soll die dreijährige Ausbildung offiziell beginnen. Vorher wird Celine ein halbjähriges Praktikum machen. Sie braucht den Vorsprung, denn sie muss ja auch zur Berufsschule. Richter suchte lange und fand eine passende Einrichtung – in Arnstadt/Thüringen, 220 Kilometer oder zweieinhalb Autostunden entfernt. Dort soll der Blockunterricht stattfinden. 

Das heißt: mehr Logistik, mehr Kosten. Richters Azubi braucht einen Fahrdienst, für Übernachtungen eine Dekubitus-Matratze, Pflegematerial, einen Unterrichtsassistenten. 

Für die ganze Ausbildung errechnen Richter und die Gerekes 57 600 Euro Mehrkosten. Sie wollen sie durch Spenden ausgleichen.

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