© Angela Wulf | Grafik: Benedikt Schmitz

Ohne erhobenen Zeigefinger

10.06.2022, LDZ vom 25.05.2022, von Lea Beutnagel

Comedian Tan Caglar steht der LDZ Rede und Antwort / Live am 25. Juni im Fagus-Werk

Ein deutsch-türkischer Hildesheimer mit Rollstuhl – so wird Tan Caglar oft beschrieben. Der gebürtige Hildesheimer wurde am 12. Juli 1980 mit der Rückenmarkserkrankung Spina bifida geboren, die ihn zunächst nicht stark beeinträchtigte. Im Alter von 25 Jahren folgte dann doch eine Gehunfähigkeit, die bis heute dafür sorgt, dass er auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Nach ein paar Jahren hatte sich Caglar nach einer mehrjährigen Depression mit der neuen Lebenssituation abgefunden und engagiert sich seitdem als Coach im Bereich Inklusion. 

Während seiner Vorträge entdeckte der Hildesheimer sein komödiantisches Talent und wendete sich der Stand-Up-Comedy zu. Mit seinem Programm „Geht nicht? Gibt’s nicht“ ist er am Samstag, 25. Juni, im Rahmen einer Kooperationsveranstaltung der LDZ und des Fagus-Werks in Alfeld zu Gast.

LDZ: Sie kommen aus Hildesheim. Haben Sie auch eine Verbindung zu Alfeld?

Caglar: Das Straßenverkehrsamt (lacht). Da funktioniert einfach alles besser und schneller als in Hildesheim. Und meine erste Corona-Impfung habe ich dort auch bekommen.

LDZ: Mit Ihrem Programm sind Sie mittlerweile in ganz Deutschland unterwegs. Freut man sich da trotzdem noch, wenn man auch mal in der Nähe der Heimat spielen darf?

Caglar: Es ist wirklich sehr selten, dass man mal in der Nachbarschaft spielen darf. Dass ich so viel rumkomme, ist wirklich schön, aber es ist auch toll, mal in der Nähe seiner Heimat aufzutreten. Mein Programm eröffne ich immer mit einem Gag über Hildesheim, den muss ich in Alfeld natürlich nicht erklären. In anderen Städten ist das anders. Hildesheim ist eben keine Halli-Galli-Stadt, da fährt man nicht hin, sondern nur durch. Dementsprechend mache ich immer den Witz, dass ich drei Handicaps habe: Ich bin Türke, ich komme aus Hildesheim und ich sitze auch noch im Rollstuhl.

LDZ: Sie sind Comedian, Sportler, Moderator, Autor und Schauspieler. Haben Sie bei diesen vielen Tätigkeiten einen Liebling? Etwas, das Ihnen besonders am Herzen liegt?

Caglar: Comedy und Schauspiel zehren voneinander. Beim Schauspiel schlüpfe ich immer wieder in eine andere Rolle und es gibt kein Publikum. Das ist bei der Comedy anders. Dort läuft jeder Abend individuell ab und ich bekomme sofort die Reaktionen des Publikums mit. Was beide Tätigkeiten gemeinsam haben: Sie gehen mit viel Kreativität einher.

LDZ: Wie passen Humor und Behinderung zusammen?

Caglar: Ich mache ja keine Witze über meine Behinderung, sondern eher über die Situationen, in die man aufgrund der Behinderung kommt. Es ist ja auch im wahren Leben so: Wenn man auf neue Leute trifft, ist da natürlich erstmal ein Elefant im Raum. Den kann man gut mit Humor beseitigen. Mein Programm besteht aber nicht nur daraus, dass ich eineinhalb Stunden lang über meinen Rollstuhl spreche, das würde auch irgendwann langweilig werden. Ich finde es wichtig, das Thema aufzugreifen, da der Rollstuhl einfach zu meinem Leben gehört.

LDZ: Wenn wir schon beim Thema sind: Was erwartet die Zuschauenden in Ihrem Programm im Fagus-Werk? Worauf kann man sich freuen?

Caglar: Auf einen schönen, lustigen, humorvollen Abend. Ich freue mich sehr auf das Alfelder Publikum, das wird auch mein erster Auftritt in Alfeld sein. Humor ist in jeder Stadt anders. Es wird ja immer gesagt, dass Norddeutsche eher nicht so humorvoll sind. Dem würde ich gar nicht zustimmen. Mir ist es wichtig, das Publikum mit einzubeziehen. Ich denke, dass sich viele auf einen kleinen Ausreißer in diesen Zeiten freuen.

LDZ: Was darf Comedy? Gibt es Dinge, über die man keine Witze machen sollte?

Caglar: Auch Comedy muss barrierefrei sein. Ich finde es wichtig, dass man immer einen Bezug dazu hat, worüber man spricht. Das Typische bei Stand-Up-Comedy ist, dass jeder Künstler und jede Künstlerin über Erfahrungen spricht, die man mal gemacht hat. Sonst stellt sich auch keine Verbindung zum Publikum ein. Die Zuschauer haben sich in meiner Wahrnehmung verändert. Niemand möchte 90 Minuten lang nur durchlachen. Mir ist es wichtig, dass sie sich auch später noch an das Gesagte erinnern.

LDZ: Sie wollen Ihren Zuschauenden also auch immer etwas mitgeben?

Caglar: Das passiert automatisch. Humor ist ein gutes Transportmittel, um solche Themen rüberzubringen. Ein bekannter Comedian hat mal zu mir gesagt: „Es kommt nicht darauf an, was Du sagst, sondern wie Du es als Typ rüberbringst.“ Es ist einfach schön, wenn man gemeinsam einen lustigen Abend verbringt.

LDZ: Wenn man sich mit Ihnen beschäftigt, liest man immer wieder, dass Sie ein Problem mit dem Wort „Inklusion“ haben. Warum?

Caglar: Mittlerweile finde ich das Wort gar nicht mehr so schlimm. Früher habe ich mich gefragt, was das ist, und die Antwort war immer, dass man alle Menschen mit in die Gesellschaft integriert. Ich fand es schlimm, dass dies eigentlich nur ein Synonym für „Menschlichkeit“ ist. Das ist ja schon ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft. Jetzt sehe ich das anders: Man muss sich politisch mit dem Thema und dem Begriff beschäftigen. Barrierefreiheit geht ja nicht nur Rollstuhlfahrer etwas an. Über eine Rampe freuen sich auch Frauen mit einem Kinderwagen oder Omas mit einem Rollator.

LDZ: Was müsste passieren, um Inklusion wirklich zu leben und alle Menschen in die Gesellschaft zu integrieren – also diese Utopie einer Gesellschaft zu erreichen?

Caglar: Es gibt diesen Satz: „Wir müssen Barrieren in unseren Köpfen überwinden.“ Und irgendwie stimmt der ja auch. Wer nicht selbst mit einer Behinderung zu tun oder Menschen mit Behinderung in seinem Umfeld hat, beschäftigt sich nicht mit diesem Thema. Diese Leute will ich erreichen. Ich glaube, dass die Menschen, die aus meiner Show gehen, eine andere Sicht auf das Thema bekommen haben. Man muss die Gedanken an die Menschen herantragen. Nicht immer mit dem Zeigefinger auf andere zeigen, sondern die Leute abholen.

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