Liebe Leserinnen und Leser,
der SPIEGEL nennt es Hausmitteilung, wir von der SIEBEN: nennen es Editorial: Der erste Text im Heft. Und darin dreht sich alles immer auch ein bisschen um das eigene Befinden. Deshalb sei an dieser Stelle erwähnt, dass sich das erste Erscheinen der SIEBEN: zum 26sten Mal jährt. Am 1. März 1996 ging‘s los.
In diesem Jahr fällt ein tiefer Schatten auch auf unseren Geburtstag, vielleicht fragen Sie sich wie wir: darf man in solchen Zeiten überhaupt noch fröhlich feiern? Werden wir gar den nächsten Geburtstag nicht mehr erleben?
In Deutschland war 1996 „Lemon Tree“ von „Fool‘s Garden“ auf Platz 1 der Single-Charts. Ein Lied, das immer noch in Erinnerung ist. Wie die SIEBEN:. Aber eben auch der 1. September 1939, der Tag des deutschen Überfalls auf Polen. Der Tag des Beginns des Zweiten Weltkrieges. Nach sechs Jahren Krieg: 60 Millionen Tote, darunter rund 40 Millionen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, einschließlich vieler Ukrainer und Ukrainerinnen. Über 70 Jahre später waren uns das Gedenken, das Mahnen „Nie wieder Krieg“ fast schon lästig geworden, nahmen kaum noch Menschen an jährlichen Veranstaltungen wie an den Volkstrauertagen teil. Wir haben uns sicher gefühlt nach dem erklärten Ende des Kalten Krieges 1991.
Nur ganz selten erinnerten einige daran, wie brüchig die Decke der sogenannten „Zivilisation“ ist.
Dachten nicht auch Sie manchmal: „Oh diese rückständigen Schwarzen in Afrika, die können wohl nie Ruhe geben mit ihren ewigen Kriegen. Afghanistan, Jemen, Syrien-finsteres Mittelalter!“?
Es war zu keinen Zeiten kein Krieg in der Welt – nur, Krieg schien halt weit weg. Und nun ist er da, nur wenige hundert Kilometer entfernt wurde das Völkerrecht in brutaler Weise gebrochen, stellen wir uns wieder auf Hundertausende von Flüchtlingen ein, dieses Mal Europäer wie wir. Fragen uns vielleicht sogar, wie lange es dauern wird, bis wir selbst zu Flüchtlingen werden.
Grade noch hatten wir gedacht mit dem Frühjahr könne die Pandemie verschwinden, wir in das Leben zurückkehren, wie wir es noch vor zwei Jahren kannten. An den zunehmenden Naturkatastrophen hatten wir schon gemerkt, dass das wohl auch nicht so einfach werden würde, dass wir uns noch auf einige Veränderungen werden einstellen müssen. Aber nun noch dies, das Undenkbare, dazu. Es ist zum Heulen, es ist zum Verzweifeln. Und doch:
Wir dürfen unser kreatives Denken und Handeln nicht von unserer Angst dominieren lassen, dann wird alles nur noch schlimmer. Wir können viel lernen von der unglaublichen Widerstandskraft und Stärke derer, die noch nie Frieden, Gesundheit und Wohlstand genießen konnten.
Ja, es gab immer Krieg und Elend – aber es gibt immer auch Leben und Hoffnung.
Und grade deshalb können, ja müssen wir sogar Geburtstage feiern, uns an Debatten beteiligen, an Lösungen mitdenken, uns freuen über den beginnenden Frühling, über die Corona-Lockerungen, müssen Pläne machen für Renovierungen, müssen junge Leute eine Ausbildung beginnen, müssen wir Ausstellungen und andere Veranstaltungen besuchen
In diesem Sinne viel Spaß beim Lesen dieser kleinen Geburtstagsausgabe!
Ihre SIEBEN: