Eine „Botschaft“ aus der Vergangenheit

Gewesene Bands aus Alfeld – Kermit‘s Chaser nehmen alte CD neu auf

KERMIT’S CHASER: Jedi For Everybody

Nach über 25 Jahren tauchen die Froschjäger wieder auf.

Ab Mitte der 1990er Jahre explodierte die Musikszene in Alfeld und Umgebung. Unzählige Bands schossen wie Pilze aus dem Boden. Die meisten der jungen Musiker gingen damals noch zur Schule oder hatten sie gerade abgeschlossen. An der Realschule und im Gymnasium wurden erste Konzerte veranstaltet, später spielten diese Bands auf der ebenerdigen Bühne im alten Treff und im legendären Landvolk Café.

 Mit Hilfe des Stadtjugendrings luden die Bands alljährlich zum Local Derby ein, das in seiner Hochzeit bis zu 1000 Besucher anzog. Einige dieser Formationen hielten nur kurze Zeit und lösten sich am Ende der Schulzeit wieder auf, andere blieben über Jahre zusammen und tourten sogar durch ganz Deutschland und Europa. Manche Musiker von damals sind immer noch musikalisch aktiv.

Die SIEBEN:, selbst 1996 gegründet, begleitete die Bands zu jener Zeit hautnah, live und in Farbe. Und wie aus dem Nichts taucht jetzt auf einmal eine Botschaft aus der Vergangenheit auf: KERMIT’S CHASER haben ihr Demo aus dem Jahr 1998 unter professionellen Bedingungen neu aufgenommen. Grund genug, die beiden ehemaligen Froschjäger Carsten Brinkmann und Florian Hilty um eine Erklärung zu bitten:

sieben: Hallo, ihr beiden. Jetzt erzählt, wie kam es zu der Idee, euer altes Demo neu einzuspielen?

Florian: Puuh, das muss Carsten erklären. Kann ich in der Zeit noch Einkaufen fahren oder hältst du dich kurz?

Carsten (lacht): Bleib hier, ich gebe mir Mühe. Das Ganze ist eine zufällige Verkettung glücklicher Umstände und war nie geplant. Während der Corona-Zeit, als wir alle viele Stunden zu Hause saßen, fing ich an, einige Songideen, die sich über die Jahre angesammelt hatten, für mich als Demo aufzunehmen. In dieser Zeit kontaktierte mich mein alter Kumpel Fabian Reimann, mit dem wir zu LUKA-Zeiten eng zusammengearbeitet hatten.

sieben: War LUKA nicht die Nachfolgeband von KERMIT’S CHASER?

Carsten: Ja, genau. Als Florian 1999 zu GENERATION FUCK wechselte, änderten wir unseren Namen zu LUKA. Aber das ist eine andere Geschichte.

sieben: Was wollte Fabian von dir?

Carsten: Er ist einer der wenigen aus jener Zeit, die heute tatsächlich im Musik-Business arbeiten. Doch Corona hatte ihn als Live-Tontechniker von jetzt auf gleich mehr oder weniger arbeitslos gemacht.

Florian: Der ganze Live-Betrieb brach damals zusammen. Die Folgen merken wir in der Veranstaltungsbranche ja bis heute.

Carsten: Jedenfalls fragte Fabian mich, ob ich zufälligerweise Songmaterial besäße, das ich aufnehmen wolle und er anschließend mixen könne. Nun ja, ich hatte!

sieben: Das ist in der Tat ein komischer Zufall. Wie ging es weiter?

Carsten: Ich war im Herbst 2020 kurz vor dem zweiten Lockdown das erste Mal bei Fabian im Ton-Studio. Ich stellte ihm meine Ideen vor und wir nahmen auch schon einige davon auf, bis der Zufall noch einmal zuschlug: In einem einsamen CD-Regal in der Waschküche entdeckte ich die alte CD von KERMIT’S CHASER.

sieben: Und? Was dachtest du da?

Carsten: Naja, was man in solchen Situationen halt so denkt: Krass, das ist so lange her! Ob ich die Songs überhaupt noch kenne? Wie gruselig die Aufnahme wohl klingen mag?

Florian (scherzhaft): Hey, die habe ich gemacht. Ganze zwei Tage haben wir uns damals dafür Zeit genommen.

Carsten: Ja, im Dezember 1998. Jedenfalls durfte ich mir die CD ausleihen. Ich weiß gar nicht, wo mein eigenes Exemplar geblieben ist. Im Auto hörte ich sie auf der Heimfahrt zwei Mal komplett durch. Und ich konnte mich an sehr viel erinnern. Sogar an meine Songtexte.

sieben: Bestimmt ein schönes Gefühl mit Erinnerungen an die eigene Jugend? Fiel auf dieser Autofahrt schon der Entschluss, das Album neu aufzunehmen?

Carsten: Nein. Die Songs waren noch zu weit weg von mir. Da mussten erst Beziehungen wieder aufgebaut werden. Letztendlich hatte ich aber vor Weihnachten zwei Demos fertig, die ich dann den Jungs als Weihnachtsüberraschung zuschickte.

Florian: Das war auf jeden Fall in der dunklen Corona-Zeit eine schöne Bescherung. Allerdings konnten wir nicht ahnen, dass wir von nun an regelmäßig von Carsten mit Neuaufnahmen unserer alten Songs bombardiert werden würden.

sieben (überrascht): War das denn so schlimm?

Carsten: Bestimmt. Ich neige zu Übertreibungen und war sicher anstrengend. Aber aus diesem nostalgischen Anfangsgefühl wurde für mich ein immer größer werdendes Projekt. Irgendwann gab es kein Zurück mehr, als es bis zum Ende durchzuziehen.

sieben: Spannend. War denn dann die ganze Band beteiligt?

Florian: Nein. Es blieb Carstens Projekt. Aber er hatte unseren Segen. Okay, wir haben ihn einfach machen lassen (schmunzelt).

Carsten: Zumindest die musikalische Umsetzung lag in Fabians und meinen Händen. Und es gibt auch ein paar Überraschungsgäste, soviel sei gesagt. Mir war aber von Anfang an klar, dass das Projekt nicht allein meine eigene musikalische Vergangenheit ist, sondern dass Florian, Iks (Anm. d. Red.: Andreas Fritsche) und Markus (Anm. d. Red.: Markus Leupold) sie mit mir teilen.

sieben: Was war für dich die größte Herausforderung?

Carsten (lautes Lachen): Die Songs! Wir waren 20 Jahre alt! Und wir haben damals das gemacht, was 20jährige in ihrer jugendlichen Weltsicht eben so machen.

Florian: Wir verfolgten damals das wahnwitzige Ziel, unsere Songs so schnell wie möglich zu spielen.

Carsten: Genau. Ich musste daher die Songs doch etwas anpassen und z.T. sogar komplett neu arrangieren.

sieben: Was genau meinst du damit?

Carsten: Ich habe uns quasi selbst gecovert. Wie holt man einen Song in das Jahr 2020, ohne den Vibe von 1998 zu verlieren? Mir war es wichtig, dass man in der Neuaufnahme das Original wiedererkennt.  

sieben: Und? Ist es dir geglückt?

Carsten: Der Künstler schweigt. Nach all der Zeit können das nur die Menschen beurteilen, die uns zwischen 1997 und 1999 live gesehen haben oder im Besitz des alten Demos sind. Für alle anderen sind es ohnehin neue Songs.

sieben: Auch das Artwork hat eine Frischzellenkur bekommen, wie man sehen kann.

Florian: Ja. Irgendwann war klar, dass das wie früher mein Job werden würde. Auch das neue Design knüpft an das alte an. Allerdings hätten wir das alte Artwork auch gar nicht mehr verwenden können.

sieben: Wieso das denn nicht?

Florian: Die Daten sind schlichtweg verloren, der Computer längst verschrottet. An digitale Datensicherung dachte damals keiner. Das ist bei Bandfotos, Zeitungsberichten etc. ganz ähnlich. Das digitale Zeitalter hatte gerade erst zaghaft begonnen, an Internet war noch nicht zu denken. Wir sind immer noch dabei, Kellerräume und Dachböden unserer Elternhäuser nach der einen Kiste zu durchforsten, in der vielleicht doch vielleicht noch das eine oder andere Foto jener Zeit liegt.

Carsten: Und man findet dabei ungewollt noch ganz andere Schätze.

sieben: Was hat euch damals angetrieben? Hattet ihr musikalische Vorbilder?

Carsten: Wir hörten damals sehr viel kalifornischen Punkrock. NOFX, RANCID, OFFSPRING oder FACE TO FACE. BAD RELIGION ist bis heute meine Lieblingsband.  

Florian: Ich war damals riesengroßer Fan von GREEN DAY. Ich hatte mir irgendwann das ganze „Dookie“-Album herausgehört und konnte es mitspielen. Ansonsten machte es einfach Spaß, mit Freunden in einer Band zu spielen. Es war cool. Und irgendwie spielten auch alle Freunde in irgendeiner Band.

Carsten: Es ging dann auch irgendwann darum, endlich auftreten zu können. Wir wollten unbedingt live spielen. Und die Konzerte der heimischen Bands im Treff oder im Landvolk waren damals immer rappelvoll. ACID RAIN, CHANGE OF EVIDENCE, HOLD REGAINED, THE 6th TRADITION und wie sie alle hießen. MO´RAIN hatten ihren Proberaum neben unserem. Die mussten ganz schön unter unserem Krach leiden. Egal. Alle kannten sich und jeder brachte noch weitere Leute mit. Es war immer eine riesengroße Party. Vom Local Derby braucht man erst gar nicht anfangen zu schwärmen.

sieben: Das stimmt. Würdet ihr euch wünschen, die digitalen Möglichkeiten von heute damals gehabt zu haben?

Florian: In meinem Beruf als Grafikdesigner möchte ich natürlich die Leistungen moderner Rechner oder die Möglichkeiten, die das Internet bietet, nicht mehr missen. Aus meiner Zusammenarbeit mit Bands wie KRAFTKLUB oder FETTES BROT weiß ich aber, dass das Digitale auch einen großen Haken hat: Alles ist für jeden zu jeder Zeit nahezu kostenlos verfügbar geworden. Und es gibt eine breite Masse an Angeboten. Das Besondere geht dabei mitunter verloren.

Carsten: Die digitale Entwicklung seit der Jahrtausendwende und das Internet haben viele Prozesse auf der Welt demokratisiert. Als Musiker kann man heute zu Hause einfacher Musik produzieren, ohne teure Studiozeit buchen zu müssen. Über die sozialen Netzwerke können sich Künstler auch einfacher darstellen und Kontakte knüpfen. Der Preis ist aber recht hoch dafür.

sieben: An welchen Preis denkst du?

Carsten (nachdenklich): Letztendlich den der Qualität. Jeder kann heute alles. Und am Ende geht es um Klicks, Likes und Follower. Und das Ganze bitte in rasend schneller Zeit. Heute hat kein Künstler mehr Zeit, sich zu entwickeln. Er darf keine Fehler machen. Er muss ständig Content generieren. Es geht am Ende gar nicht mehr darum, ob er einen guten Song geschrieben hat. Anfang der 2000er haben die Mächtigen in der Musikindustrie Napster bekämpft und CDs mit Kopierschutz ausgestattet. Als Rache haben sie dafür spotify und Konsorten bekommen. Das Schlimmste, was Musikern in den letzten Jahren passieren konnte. Es ist verlockend, für 10 € im Monat das Lebenswerk der BEATLES, der ROLLING STONES, von QUEEN oder AC/DC abrufen zu können. Solche außerordentlichen Karrieren sind aber mit dem heutigen System nicht mehr machbar. Und selbst Bands, die in Hannover das Capitol voll machen, kommen damit gerade einmal so finanziell über die Runden.

sieben: Das klingt recht pessimistisch. Was ist euer Vorschlag?

Florian: Es muss einen anderen Verteilerschlüssel geben, sodass die Künstler an dem Gewinn, der ja mit ihrer Musik erzielt wird, stärker partizipieren können. Ohne Kapelle keine Party! Bis dahin will ich Künstler, die ich toll finde, unterstützen. Nicht nur durch Klicks und Likes. Ich besuche ihre Konzerte, ich kaufe ihre Musik, ich trage ihr Merchandise. Und ich erzähle allen meinen Freundinnen und Freunden von ihnen.

Carsten: Ansonsten: Die Maus wegschieben, Gitarre in die Hand. Weg vom Rechner, ab in den Proberaum, rauf auf die Bühne. Nicht so viel überlegen. Einfach machen. Und nicht nur ein- bis zweimal im Jahr für teuer Geld Konzerte von Megastars besuchen, sondern auch die kleine Kneipenshow um die Ecke oder die Newcomer-Band im heimischen Jugendzentrum. Das neue KUBA in Alfeld ist dafür genaue der richtige Ort. Jedenfalls war und bleibt er es für uns.

sieben: Das sind doch schöne Worte zum Schluss. Doch zuletzt bleibt noch eine Frage offen: Wird man KERMIT’S CHASER wieder live sehen können?

Carsten: Sehr unwahrscheinlich.

Florian: Nope.

Carsten: Kaum realisierbar.

sieben: Wirklich nicht?

Florian: Ja, nee. Es ist gut so, wie es ist. Oder?

Carsten: Ich wurde das die letzten beiden Male als Besucher auf dem BEACH BITCH ROCK häufig gefragt. Die Vorstellung ist sicher schön, aber äußerst unrealistisch. Vor allen Dingen in der alten Besetzung. Wir lassen die Frage mal offen und noch ein bisschen Wasser die Leine runterfließen. Schließlich wollte ich mich ursprünglich ja auch um meine neuen Songs kümmern. Fabian drängelt schon.

sieben: Wir sind gespannt, was die Zukunft bringt. Danke für das ausführliche Gespräch. (red)

Viel Spaß beim Reinhören:
https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=G2Xos1l_gHg

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